Vier Kreise des Schweigens – Sexualisierte Gewalt in katholischen Institutionen

Por Ulrike Gentner
Feb 16th, 2022

Marek Spitczok von Brisinski ist Soziologe, Pädagoge und Trauma-Berater. Er ist seit vielen Jahren als externer Berater und Trainer in der Prävention von sexualisierter Gewalt an Schulen in Berlin tätig und berät verschiedene Institutionen bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen.

«Ich denke aber, dass es an der Zeit ist, dieses Thema zur Sprache zu bringen, das bisher jeder einzelne Betroffene vor allem mit sich allein ausgemacht hat.» (Dokumentation Eckiger Tisch, S. 21, aus einem offenen Brief, 2009)

Wie funktioniert das System von sexueller Übergriffigkeit und Gewalt? Wie schaffen es Täter und Täterinnen, ihr gesamtes Umfeld zu manipulieren: Kinder und Jugendliche, Eltern, Kolleg_innen, Vorgesetzte, die gesamte Institution? Wie können sie alle täuschen, um die Taten zu verheimlichen und zu verschleiern? Die folgenden Ausführungen zeigen, wie Betroffene von sexualisierter Gewalt auf vielen Ebenen verunsichert, verwirrt und zum Schweigen gedrängt wurden, und dass diese Verunsicherung oft noch Jahre und Jahrzehnte andauert, nachdem die Ereignisse vergangen sind. Es geht darum, Erkenntnisse aus der Vergangenheit zu gewinnen und strukturelle Verantwortlichkeiten zu verdeutlichen. Zudem soll dieser Text Ermutigung und Zuversicht für die Aufarbeitung geben und über strukturierte Erkenntnisse möglichst weitere Entlastung für Betroffene bieten.

Dieser Text basiert auf veröffentlichten Berichten von Betroffenen und mit der Aufarbeitung Beauftragten sowie auf meinen eigenen Erfahrungen als Berater und Begleiter von betroffenen Jungen und Erwachsenen. Zudem bin ich mit der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in säkularen und katholischen Einrichtungen beschäftigt.2 Es werden Taten vor 2010 besprochen, bevor institutionelle sexuelle Gewalt weithin öffentlich und gesellschaftlich diskutiert wurde. Die Täterstrategien und Missbrauchssysteme sind jedoch in Institutionen auch heute noch so vorzufinden.

Als Hinweis: Es werden Verhaltensweisen von männlichen Tätern beschrieben sowie Auswirkungen für Betroffene. Solche Beschreibungen können zu persönlichen Belastungen führen und eigene Erinnerungen aktivieren. Es werden keine expliziten Handlungen dargestellt, sondern strukturelle Kontexte und Auswirkungen beschrieben. Die hier zitierten Berichte bieten weitere ausführliche Informationen zu Vorgängen in einzelnen Institutionen.

Falls Belastungsanzeichen auftauchen, ist es ratsam, möglichst gut für sich zu sorgen und eigene Wege der Entlastung zu praktizieren. Pausen, Abstand und körperliche Bewegung können hilfreich sein. Mehr hierzu findet sich im Text «Psychotrauma nach sexueller Gewalt und Selbstfürsorge». 3 Es kann auch sinnvoll sein, mit einer professionell geschulten Person oder Beratungsstelle zu sprechen. Informationen hierzu finden Sie z.B. auf der Homepage des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (beauftragter-missbrauch.de) oder dessen Hilfetelefon: 0800 22 55 530

Hintergrund

Kinder und Jugendliche können in Schulen, Internaten, Gemeinden, Freizeiteinrichtungen oder bei Seelsorgern immer wieder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein. Hierbei werden sie in soziale Zusammenhänge und Handlungen eingebunden, die sie auf vielen Ebenen beeinflussen und Spuren hinterlassen: körperlich, emotional, gedanklich und im Weltbild. Die Täterstrategien und Erlebnisse isolieren die jungen Menschen oft noch lange nachdem die Handlungen vorbei sind. Nicht selten führen sie zu jahrelangem Schweigen, Schuld- und Schamgefühlen, Ängsten und unverständlichen Reaktionen. Betroffene von sexualisierter Gewalt leben mit den Folgen und mobilisieren viele Ressourcen, um eigene Wege zu finden, damit umzugehen. Immer wieder berichten Betroffene, dass mit der Zeit heilende Prozesse einsetzen und ein innerer Frieden möglich ist.

Der eigene Umgang charakterisiert sich in den Jahren und Jahrzehnten nach den Gewalterlebnissen häufig durch Schweigen. Denn für das Geschehene gibt es meistens keine geeignete Sprache, kaum Worte, um selbst zu verstehen oder sich mit anderen
auszutauschen. Auch braucht es für einen produktiven Austausch zu diesem Thema jemanden, der zuhört, den Erzählenden glaubt und es aushalten kann, Betroffene in einem dialogischen Prozess zu begleiten. Dies können zum Thema geschulte Personen sein:
Fachkräfte von qualifizierten Beratungsstellen, spezialisierte Therapeutinnen und Therapeuten. Doch ist es ebenfalls hilfreich, wenn Betroffene miteinander – einzeln und organisiert in Betroffenenvertretungen oder Selbsthilfegruppen – sich gegenseitig
unterstützen. Auch Freunde und Familie können eine große Unterstützung sein.

Der eigene Umgang charakterisiert sich in den Jahren und Jahrzehnten nach den Gewalterlebnissen häufig durch Schweigen. Denn für das Geschehene gibt es meistens keine geeignete Sprache, kaum Worte, um selbst zu verstehen oder sich mit anderen
auszutauschen. Auch braucht es für einen produktiven Austausch zu diesem Thema jemanden, der zuhört, den Erzählenden glaubt und es aushalten kann, Betroffene in einem dialogischen Prozess zu begleiten. Dies können zum Thema geschulte Personen sein:
Fachkräfte von qualifizierten Beratungsstellen, spezialisierte Therapeutinnen und Therapeuten. Doch ist es ebenfalls hilfreich, wenn Betroffene miteinander – einzeln und organisiert in Betroffenenvertretungen oder Selbsthilfegruppen – sich gegenseitig
unterstützen. Auch Freunde und Familie können eine große Unterstützung sein.

Um den vollständigen Artikel zu lesen, folgen Sie bitte diesem Link

 

2 Der Autor ist Traumafachberater und freiberuflich in der Aufarbeitung als auch Prävention von sexualisierter Gewalt und Erstellung von Schutzkonzepten tätig. Neun Jahre bei einer
Fachberatungsstelle in Berlin und seit 2014 einer von drei beauftragten Ansprechpersonen zu Fragen der sexualisierten Gewalt bei der Deutschen Provinz der Jesuiten.
3 Als Download unter http://marek-spitczok.com/downloads/